Standort: Chaisterfeld, an der Verbindungsstrasse Kaisten–Laufenburg, rund einen halben Kilometer nach dem Kaister Ortsausgang.
Ruheloser Kindsmörder
Einst galt die Gegend bei der Wendelinskapelle zwischen Kaisten und Laufenburg als unheimlicher Ort. Manch einer, der nachts an der Kapelle vorbeiging, hörte hinter sich schlurfende Schritte, ohne einen Menschen zu sehen. Ein paar hundert Meter weiter, beim Kreuz am Kaister Dorfeingang, erschien manchmal eine undeutliche Gestalt, die sich beim Betrachten in Nebel auflöste. Es war die ruhelose Seele eines schwedischen Husaren, der während des Dreissigjährigen Krieges in Kaisten zwei in einer Wiege liegende Kinder erstochen hatte. Beim Zurückreiten nach Laufenburg fiel er bei der Kapelle vom Ross und war sofort tot, berichtet eine Sage.
Baron als Altarstifter
Die Ursprünge der dem Bauernpatron Wendelin geweihten Kapelle reichen vielleicht ins 16. Jh. zurück, dies lässt zumindest das spätgotische Spitzbogenportal vermuten. Die im Türgewände eingemeisselte Jahrzahl 1672 wurde demzufolge im Rahmen eines Umbaus angebracht. Etwas speziell ist die Vorhalle, die gegen die Wetterseite hin durch eine Mauer abgeschlossen ist.
Das Kirchlein beherbergt einen barocken Altar mit einem Bild des Kapellenpatrons aus dem 19. Jh. (evtl. 1881), signiert von einem Maler Pfeiffer aus München. Ein kleineres, älteres Gemälde zeigt den Drachentöter St. Georg. Einst standen auf Podesten beidseits des Altars Figuren der früher beliebten hll. Barbara und Katharina von Alexandria. Sie befinden sich heute in der Kaister Pfarrkirche. Als Zeuge der österreichischen Vergangenheit der Region prangt am Altar das Wappen des in Laufenburg ansässigen habsburgischen Beamten Baron Ignaz von Grandmont-Stotzingen (1672–1733), der mutmassliche Stifter des Altars.
Sammlungsort der Todtmoospilger
Die Wendelinskapelle wird nur noch selten benutzt. Ihr Standort ausserhalb des Dorfes hart an einer Strasse ist alles andere als attraktiv. In unmittelbarer Nachbarschaft breitet sich eine grossflächige Schaltanlage der Elektrizitätswirtschaft aus, Hochspannungsleitungen dominieren die Landschaft. Jüngst wurde das Innere der Kapelle renoviert, und es ist angedacht, das Kirchlein wieder vermehrt zu nutzen. Einst hielten hier die Kaister Flurprozessionen. Der Hornusser Fusswallfahrt nach Todtmoos, die jeweils am Montag und Dienstag nach Auffahrt stattfindet, dient die Kapelle seit Menschengedenken als Orientierungspunkt: Nach dem Überschreiten der Grenze und einem Verpflegungshalt in Laufenburg besammeln sich die Pilger auf ihrem Rückweg bei der Wendelinskapelle, um von hier aus die letzten Kilometer nach Hornussen anzutreten. (lh)
Spiritueller Impuls:
Eine Leerstelle für Gott
Die Kaistener Wendelinskapelle ist ein Sinnbild für die kulturellen Spannungen, die wir als Christinnen und Christen heute erleben. Glaube erscheint in unserer von naturwissenschaftlichem und ökonomischem Denken geprägten globalisierten Welt wie ein deplatziertes Relikt vergangener Tage. Und doch ist das spätgotisch-barocke Kleinod zwischen Strasse und Hochspannungsleitungen ein wichtiger Platzhalter für die Wahrnehmung einer Wirklichkeit, die, oftmals vergessen, dennoch die Urkraft allen Lebens ist. Die Kapelle steht wie eine Mahnung: Erliege nicht der Versuchung menschlicher Allmachtsphantasien! Wir Menschen sind nur ein kleiner Faden in der Komplexität des Universums, ein Augenzwinkern in der Geschichte des Kosmos. Das Leben ist keine Erfindung des Menschen, sondern Geschenk des lebendigen Gottes. Leben und Lebendigkeit sind mehr als wirtschaftliche Betriebsamkeit. Das verheissene „Leben in Fülle“ wächst überall dort, wo ich mich in die Koordinaten des Segens Gottes stelle.
die Autoren: Linus Hüsser und Bernhard Lindner
http://www.aargauerkapellen.ch/